interview

interviewer:
Simone Kaempf
2006-05-15





Prof. Diethart Kerbs
wie würden sie jemand anderem ihren heutigen job erklären?
Fotohistoriker: mache Bücher und Ausstellungen. Schreibe auch Biografien historischer Persönlichkeiten, von denen ich den Verdacht habe, dass sie zuwenig bekannt geworden sind. Lehre nicht mehr. Bin seit zwei Jahren pensioniert und habe 2005 mein letztes Seminar gegeben. Dieses Jahr folgte noch eine Vortragsreihe darüber, wie Fotohistoriker arbeiten.

wann und warum wurden sie ans ID4 berufen?
An der Pädagogischen Hochschule habe ich Kunstpädagogik unterrichtet und mich auch mit Designfragen beschäftigt, weil wir damals die Tendenz hatten, Designprobleme in den Kunstunterricht aufzunehmen. Aber ich weiß nicht mehr, woher ich Nick kannte. Vielleicht vom Werkbund. 1971 hatte ich den Vorschlag zur Gründung des Werkbundarchivs gemacht, den ich mit Janos Frecot und Jonas Geist umsetzte. Vielleicht auch vom Rat für Formgebung oder vom IDZ. Auf den drei Feldern bewegte ich mich damals.

was fällt ihnen zu der zeit und den umständen spontan ein?
Das war die Gründungszeit der Hochschule der Künste mit Integration der ehemaligen Werk-Kunstschule, der Hochschule für Graphik und Werbung und der Musikakademie. Das ganze war eine politische Erfindung des SPD-Abgeordneten Heimann, der damals Staatssekretär für Bildungs- und Hochschulwesen war. Inhaltlich bedeutete es den Versuch, alle kunstbezogenen Disziplinen unter einem Dach zu organisieren, politisch bedeutete es, Personal zu sparen, und außerdem erfüllte es eine der Forderungen der Revolution von 1848, nämlich die Akademisierung der Volksschul-Lehrer-Bildung. Denn an der Pädagogischen Hochschule bildeten wir bis dato alle Lehrer bis zur 10. Klasse aus, aber sie galt als Hochschule minderen Ranges, die nicht dem universitären Niveau entsprach. Eigentlich war das Ganze ein vorbildliches Modell, von dem man sich versprach, dass die Künste vom Gespräch mit den Wissenschaften profitieren und die Wissenschaft von der Nähe zur künstlerischen Praxis. In Wirklichkeit hat das nicht stattgefunden. Jeder Fachbereich war eine kleine Hochschule für sich, die sich weitgehend selbst verwalten konnte. Roloff-Momin führte diese Hochschule als Präsident sehr erfolgreich und verteidigte sie gegen Angriffe von außen, was seinen Nachfolgern nicht mehr gelang.

welche aufgaben haben sie übernommen?
Design-Geschichte und -probleme. Allgemeine theoretische Probleme. In der Nachfolge der Studentenbewegung gab es zwei Schulfächer, die am meisten beeinflusst wurden von den neuen Ideen und in denen die größten Umwälzungen stattfanden - das war die Kunsterziehung und der evangelische Religionsunterricht. In der Kunsterziehung wurden neue Bereiche erschlossen: auch alles, was in der Lebenswelt der Schüler vorkam, also Gegenstände des täglichen Gebrauchs, Comics, Reklame. Neben der Bildenden Kunst gab es nun neue Schwerpunkte: visuelle Kommunikation, Medien der Massenkommunikation, also auch Fotografie, Film, Architektur und Umweltgestaltung einschließlich Design. Darüber bin ich dann auch ans IDZ gekommen. Meine methodischen Ziele? Ich weiß es nicht mehr. Ich hatte Ende der 60er als Ghostwriter für Fritz Gotthelf eine Art Designführer - der jedoch nie gedruckt wurde - geschrieben mit 100 Objekten, die alle Kriterien eines guten Design erfüllen sollten. Kann sein, dass ich daraus etwas in den Unterricht eingebracht habe. Ich war immer fasziniert vom japanischen Handwerk und Design und stehe für die klassischen Werte: schlichte Formen, Materialgerechtigkeit, Verzicht auf Deko. Vielleicht habe ich auch über Adolf Loos' "Ornament und Verbrechen" diskutiert.

besonderheiten der studenten-generation, mit der Sie zu tun hatten?
Aufgeschlossener, begeisterungsfähiger und lebendiger als heute. Waren bereit, sich über das offiziell geforderte hinaus für Themen zu engagieren.

übereinstimmungen / inspirationen / reibungen an nick roerichts positionen?
Freundlich, aufgeschlossen, keine Konflikte. Ich konnte mit ihm immer gut reden. Und das Mitdenken sozialer Relevanz hielt ich für unabdingbar.

kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
Nein, gar nicht. Habe auch kaum noch Kontakt zu meinen eigenen ehemaligen Studenten, weil ich in den letzten zwanzig Jahren vorwiegend als Fotohistoriker gearbeitet habe. Da sind jetzt eher meine Kontakte.

was würden sie im nachhinein, angenommen die zeitreise wäre bei gleicher ausgangslage möglich, anders machen?
Ich würde das machen, was ich gemacht habe und versuchen, es noch besser zu machen. Im Prinzip kann ich aber alles vertreten, was ich gemacht habe.

wie hat sich, seit sie lehren, das verhältnis des entwerfers zum handwerkszeug verändert?
Der Computer ist eine gewaltige Veränderung. Sehe das bei den Architekten, selbst bei Gartenarchitekten.

sehen sie die disziplin design mittlerweile übergehen, mutieren, sich entwickeln in andere formen und ausrichtungen?
Ich bin in dieser Debatte nicht auf dem Laufenden, stelle nur fest, dass der Designbegriff fürchterlich inflationär, aufgeweicht und ausgeweitet geworden ist.

welche hoffnungen oder befürchtungen knüpfen sie daran?
Ein jeglicher Fortschritt bringt auch Verluste mit sich. Das sieht man auch im Design.

was kann man tun, um designer nicht nur für heute, sondern für die nächsten jahrzehnte ihres berufslebens auszubilden?
Die Bevölkerung schrumpft, Familienstrukturen ändern sich, wir haben von allem genug. Könnten uns also damit zufrieden geben, dass wir das, was wir haben, pflegen, umnutzen, reparieren, wiederverwenden. Das bedeutet natürlich einen riesigen Wandel für Architekten und Designer. Darauf müsste man die Ausbildung ausrichten.

worauf könnten sie leicht verzichten?
Ich habe frohen Herzens auf den Fernseher verzichtet.