interview

interviewer:
Simone Kaempf
2006-08-14





Michael Kurz
1.) wie würden sie jemand anderem ihren job erklären?
Ich berate Klein-Privatwaldbesitzer im ländlichen Raum, die zwischen zwei und 120 Hektar Wald haben. Ich berate über Fördermittel und plane die Maßnahmen: Holzeinschlag, Pflanzung, Waldumbau, Kulturpflege usw., alles, was gefördert wird. Eine Truppe um mich herum im Brandenburgischen setzt die Konzepte um, führt aus, bis zur Abrechnung und den Abschlussberichten. Das ist weit weg vom Design, aber ich habe vor meinem Designstudium eine Revierförster-Ausbildung gemacht, auf die ich zurückgreife.

2.) wann und warum wurden sie ans ID4 berufen?
1983. Ich war vorher selbständig, hatte mit mehreren Leuten ein Designbüro in Frankfurt am Main. An der HdK wurde ein Werkstattleiter gesucht, der die Werkstätten aufbauen sollte für den Fachbereich Industriedesign. Ich habe mich beworben, da die Stelle aber plötzlich erst im Jahr drauf besetzt werden konnte und Nick Roericht einen Assistenten brauchte, bin ich eingesprungen und habe ein Semester lang als sein Assistent gearbeitet.

3.) welche aufgaben haben sie übernommen?
Projektbetreuung und Organisation. Wenn Nick nicht da war, ihm den Rücken freihalten und die Fachgruppe ein bisschen am Laufen halten. Die Projekte waren eher Grundstudiumsprojekte. Zu der Zeit gab es an der HdK wie in einer klassischen Werkkunstschule ganz viele einzelne Werkstätten: Gips, Goldschmiede, Tischlerei, Kunststoffwerk, Keramik, Textil. Als Werkstattleiter hatte ich die Aufgabe, eine zentrale Modellwerkstatt aufzubauen, zu strukturieren und zu organisieren für die Belange der einzelnen Fachgruppen.

4.) was fällt ihnen zu der Zeit und zu den Umständen noch ein?
ID4 war vom Lehransatz ganz anders. Experimenteller. Der Designbegriff wurde ausgeweitet, umfangreicher oder umfassender definiert. Und dementsprechend war die Nutzung der Werkstätten anders: Das Konzept des ID4 war nicht der perfekte End-Modellbau, sondern der entwurfsunterstützende Modellbau. Also die handwerkliche Phase in den Entwurf miteinzubeziehen. Schnelle Kartonmodelle zu machen. Nicht dieses perfekte Abbild eines zukünftigen Produkts, sondern Prozesse auch dreidimensional darzustellen und aus dem Prozess heraus zu lernen. Insgesamt war es eine Zeit des spannenden Wandels, wo neue Strukturen, neue Lehrinhalte, neue Lehrmethoden ausgearbeitet wurden. Ich habe als Werkstattleiter viele Projekte von Roericht in der Umsetzung betreut und auch Kurse gemacht. Es wurde in der Zeit wieder mehr am Objekt gearbeitet, weniger im Sinne klassischen Industriedesigns, sondern mehr in einem kreativen Bereich. Probleme genereller zu lösen als speziell. Viele Kurzzeitprojekte, Sprintaufgaben, die eine Spontaneität, eine Kreativität beinhalten, gerade bei Roericht. Das wurde auch kritisch in anderen Fachgruppen gesehen, wobei die Idee des Kurzzeitprojekts bald übernommen wurde. In der Umbruchphase Ende der 80er ging es bereits gesettelter zu. 1989 habe ich gekündigt, weil ich wieder etwas Eigenes machen wollte. Volker Meinhardt, jetzt Professor in Braunschweig, Helmut Staubach, Professor in Weißensee, und ich wollten zusammen ein Designbüro gründen, aber die Situation war in Berlin prekär. Nach der Wende herrschte Chaos, und es fehlte die mittelständische Industrie. Dann ging der Berliner Stadtumbau los mit den vielen Wettbewerben, und so habe ich in den Jahren darauf vor allem Architekturmodelle gebaut.

5.) besonderheiten der studenten-generation, mit der sie zu tun hatten?
Das war die Brandolini-Generation bzw. die mit Brandolini gearbeitet hat: experimentierfreudig, kreativ, lebendig. Die sind ganz schnell raus, haben noch während des Studiums eigene Büros gegründet, sind Professoren geworden, haben ihren Weg gemacht.

6.) übereinstimmungen/inspirationen/reibungen an nick roerichts positionen?
Gerieben wurde sich. Nick war empfindlich, ein bisschen launisch, aber auch freundlich und sehr bestimmt, immer. Manchmal war er auch schwer zu verstehen, hat in Chiffren geredet, aber das ist ja heute noch so. Oft hat man erst im nachhinein und nicht im unmittelbaren Zusammenhang in der Auseinandersetzung kapiert, was er wollte. Auch heute denke ich noch, er hat Recht gehabt. Es war ein guter Ansatz, den er damals hatte. Er hat eigentlich eine Zeit vorausgesehen: eine Beweglichkeit von Menschen, die alles mögliche machen können. Das war ja immer ein Spruch von ihm, dass er keine Industriedesigner ausbildet, sondern Leute, die kreativ sind, die eine Pizzeria genauso gut betreiben können wie einen Kurierdienst, die lebensfähig und kreativ sind. Er hat wirklich etwas vorausgesehen. Die Zeit war natürlich inspirierend. Nick zog im Hintergrund die Fäden, die Assistenten, Andreas Brandolini und Martin Rissler, waren die Macher und alle anderen sind mitgezogen. Wir waren, das kann man schon sagen, ein gutes Team.

7.) kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
Kontakt zu Gisela Kasten, die als Transformatorin und Übersetzerin immer wichtig war. Ich habe auch eine Zeit in der Fabrik in Kreuzberg gewohnt, wo ich nach der HdK noch eine Werkstatt hatte. Mit Gisela bin ich immer noch verbunden. Mit Rissler hatte ich auch ganz lange Kontakt. Brandolini gar nicht mehr. Lutz Koebele auch nicht.

8.) haben sie etwas in ihren arbeitsbereich übernommen oder dort weiterentwickelt?
So eine gewisse Haltung zur Arbeit, zur Gestaltung des eigenen Alltags, des eigenen Arbeitsumfelds. Die Zeit war schon prägend. Ich hatte an der HfG Offenbach studiert, habe mich mein halbes Leben mit Gestaltung beschäftigt. Als ästhetische Orientierung fließt Gestaltung auch in das ein, was ich heute mache.

9.) hätten sie irgendetwas am ID4 im nachhinein anders gemacht?
Interessante Frage. Aber eigentlich nein.

10.) sehen sie die disziplin design mittlerweile übergehen, mutieren, sich entwickeln in andere formen und ausrichtungen?
Da bin ich nicht mehr nah genug dran. Design ist ein großes Spektrum geworden. Allein das ganze Webdesign ist nicht mehr fassbar. Das klassische Industriedesign findet an Rechnern statt, und die Ästhetik wird auch sehr stark durch die Möglichkeiten des Rechners bestimmt oder auch durch Werkstoffe, Produktion und Kosten. Ich bin von der Ideologie her eigentlich ein bisschen draußen. Damals war die Ideologie noch geprägt von: Form folgt der Funktion und der guten, wahren Form.

11.) was kann man tun, um designer nicht nur für heute, sondern auch für die nächsten jahrzehnte ihres berufslebens auszubilden?
Die Zeit ist so schnelllebig. Ich weiß gar nicht, was in zehn Jahren ist. Wie lange ist es her, dass ich an der HdK war? Zwanzig Jahre? Was in der Zeit alles passiert ist, ist Wahnsinn. Die Wertschätzung des Handwerklichen möchte ich als Handwerker gerne befürworten. Aber ich glaube, das funktioniert nicht mehr. Was ist denn Handwerk? Wo wird denn heute noch Handwerk im Design gemacht? Heute übernehmen alles Rechner und Maschinen. Es gibt Computer-gestützte Fräsmaschinen, auch im Modellbau haben die Rechner das Machen übernommen. Ob das Handwerkliche gerade wieder nötig wird, um zu kontrollieren, was hinten rauskommt? Das wäre, als wenn der Bauer noch mit der Sense mähen würde und mit dem Spaten umgraben würde. Heute fahren die mit hochtechnisierten Maschinen über die Felder, das läuft alles GPS-gestützt, da gibt es kein Zurück mehr. Und ob der Bauer nun mit der Sense umgehen kann - er muss einen Mähdrescher fahren können und einen Computer bedienen können. Das ist die Entwicklung.

12.) worauf könnten sie leicht verzichten?
Platz haben und Zeit haben - das sind heute Luxusgüter. Alles, was konsumierbar ist, darauf kann man ganz gut verzichten.