interview

interviewer:
marion godau
2004-01-09


protraitbild

Sibille Riemann
wie wuerdest du jemand anderem deinen job erklaeren?
Ich habe zwei Jobs: erstens bin ich Professorin für Interaktives Gestalten an der Burg Giebichenstein in Halle, zweitens habe ich ein Büro für Konzeption und Gestaltung. Neben dem 2-dimensionalen Entwerfen von Erscheinungsbildern, Internetauftritten und Erstellen von Publikationsreihen sind mir Ausstellungsgestaltungen über eher heikle und schwer \’ausstellbare\’ Themen wichtig. Wie z.B. ?Stalingrad?Briefe aus dem Kessel? im Künstlerhaus Bethanien Berlin oder ?Unter anderen Umständen. Geschichte der Abtreibung? im Hygienemuseum Dresden. Zur Zeit arbeite ich an der Foyergestaltung einer Klinik, hierbei steht die Klientel der vorwiegend älteren Menschen und ihre Befindlichkeit im Vordergrund.

welche arbeiten oder auch ereignisse waren besonders wichtig fuer dich?
Meine gerade zurückliegende Reise durch Vietnam im Rahmen eines Forschungssemesters haben starke Eindrücke hinterlassen. Nach langen Jahren des Krieges und der Stagnation präsentiert sich Vietnam heute als ein Land im Aufbruch und sich sehr der Außenwelt öffnend. Die Möglichkeit, gesellschaftliche Wirklichkeit zu erfahren und den Studierenden in Halle vor Augen zu führen, führten zu einem Studienprojekt, das jetzt nach Hanoi in unsere Partnerschaftshochschule \’Hanoi College of Industrial Design\’ transferiert wird. Zurückblickend waren natürlich meine Erfahrungen im Büro von Nick Roericht wichtig. Die Projekte, die dort erarbeitet wurden, angefangen von der HfG-Synopse bis hin zu Studien z.B. über das Thema Kühlen. Hierbei ging es natürlich nicht darum, Kühlschränke zu entwerfen. Ich habe dort viele tolle Leute kennen gelernt, mit denen das Arbeiten großen Spaß gemacht hat: Petra Kellner, Franz Biggel, Karl Müller, um nur einige zu nennen. Diese Zeit möchte ich auf keinen Fall missen.

triffst du noch ehemalige id4ler oder arbeitest du mit ihnen zusammen?
Mit den meisten Leuten aus der Roericht-Zeit bin ich sehr freundschaftlich verbunden. Partner bei Projekten sind und waren Lutz Köbele-Lipp, Egon Chemaitis, Katrin Warneke.... In jüngster Zeit ist Guido Englich hinzugekommen, der an die Burg Giebichenstein berufen wurde. Darüber bin ich sehr froh. Ich versuche immer wieder, Leute von der HdK nach Halle zu holen. Uns verbindet einfach ein gemeinsames Denken und Vorgehen ? die gleiche Sprache.

woran oder wo wuerdest du gerne arbeiten? was wuerde dich reizen?
Mit Freunden und Kollegen bespreche ich immer mal wieder die Möglichkeit, eine neue Schule zu machen. Der Reibungsverlust im Hochschulalltag geht öfter auf Kosten der Effektivität. Ansonsten interessiert mich in meiner Arbeit eine gute Findung von visueller Sprache im zwei- und dreidimensionalen Bereich. Ich möchte Komplexes nach Möglichkeit so einfach wie möglich gestalten. Umgekehrt wünsche ich mir komplexere Möglichkeiten - ein Projekt etwa wie ?Understanding USA? von Richard Wurrman, ein Parade-Beispiel von visueller Kommunikation. Natürlich bin auch ein wenig synopsengeschädigt und kann mich für diese Art der Darstellung z.B. die synoptische Weltgeschichte von Arno Peters total begeistern.

wer oder was inspiriert dich/bewunderst du im moment? wer oder was bringt dich auf ideen und turnt dich an?
Zum Beispiel Filme wie von Andy Goldsworthy ?Rivers and Tides? von 2001. Den hatten wir an der Hochschule jetzt als Eröffnungsfilm für das 1. Semester. Dieser Film entlässt einen mit dem Gefühl, jetzt müsste man loslegen. Der Film steht für mich stellvertretend für das Unvorhersehbare, das Überraschende, das permanente Risiko. Für das nie vergebliche Scheitern und den Neubeginn, für leidenschaftliche Geduld und unbändigen Willen.

was faellt dir als erstes ein, wenn du an dein studium im id4 denkst?
Im nachhinein habe ich ID4 als angenehme Zeit empfunden. Man hat an der Hochschule nicht nur studiert, man hat dort auch gelebt, war von morgens bis abends da. Angenehm waren auch die kleinen Projekt-Gruppen. Man arbeitete eigentlich im Freundeskreis. Im Roericht-Team waren immer interessante Leute, die von draußen kamen und stellenweise gar nichts mit ?Design? zu tun hatten. Das ergab eine gute Mischung und ergänzte sich im Studium. Lehrende wie Gisela Kasten, Gerhard Strehl und Horst Fleischmann erklärten gut und brachten uns ganz neue Dinge bei. Die Workshops mit Externen, die aus den unterschiedlichsten Bereichen kamen, waren sehr erfrischend.

was hat dir für die praxis am meisten gebracht?
Konditionierung und Durchhaltevermögen ? durch das Studium und die Arbeitsweisen bei Nick Roericht im Büro. Diese Erfahrungen waren stellenweise ganz schön hart, aber später in meinen verschiedenen Bürogemeinschaften sehr hilfreich. Ohne diese Fähigkeit hätte ich so manches nicht überstanden. Dazu gehört auch meine Hochschultätigkeit heute.

welche lehr-ansätze von id4 funktionieren für dich noch? oder vielleicht gerade heute?
Ich bin natürlich von den ID4-Ansätzen beeinflusst, um nicht zu sagen infiltriert. Ich glaube, so geht es vielen aus dieser Zeit. Ich hoffe, es gelingt mir, davon etwas weiter zu tragen. Sicherlich in einer anderen ?eben meiner- Art, aber vom gleichen Grundgedanken genährt. Gut Denken lernen und kluge Strategien entwickeln, keine Angst vor Ungewohntem, das sollte in keinem Gepäck fehlen.

wenn du gerade nicht arbeitest, wo bist du am liebsten?
Dann bin ich am liebsten zu Hause in meinem Haus am Groß Glienicker See. Logisch, oder?

auf was koenntest du leicht verzichten?
Da fällt mir gar nichts ein. Ich bin ziemlich vergnügungssüchtig und geniesse einfach gern.