interview

interviewer:
Interview Simone Kaempf
2006-01-27


protraitbild

Prof. Wolfgang Karnagel
wie würden sie jemand anderem ihren job erklären?
Formgestalter oder Produktgestalter trifft es ganz gut. Den Begriff Designer verwende ich nie. Ich habe viele Dinge gemacht, mit denen Menschen konfrontiert werden, zum Beispiel Bord-Geschirr für Lufthansa. Auf dieser Basis lässt sich mit jedem gut über meine Arbeit reden.

wann und warum wurden sie ans ID4 berufen?
Nick Roericht hat mich angesprochen und gefragt, ob ich mitmachen will. Wir kannten uns bis dato nicht. Vom Namen natürlich, weil wir beide für Rosenthal Produkte gestaltet hatten. Ich war dann etwa ab 1984 drei Jahre lang Lehrbeauftragter.

was fällt ihnen zu den umständen und der zeit am ID4 spontan ein?
Anfang der 80er Jahre gab es auf einmal grösseres Interesse an Design. Die Aufbruchstimmung war auch an der HdK zu spüren. Nach den Projekten der Arbeitsplatzgestaltung kehrte wieder ein anderes Arbeiten ein, das heißt, man nahm wieder Objekte in die Hand und man beschäftigte sich wieder mehr mit alltäglichen Gebrauchsgegenständen. Auch wenn man klein anfing. Auch wenn die Studenten die handwerklichen Voraussetzungen teilweise gar nicht mehr mitbrachten. Als ich mit dem Studium anfing, hatte ich zwei Berufe gelernt. Ich denke immer noch, dass man mit handwerklichem Wissen schneller beurteilen kann, was sich umsetzen lässt.

welche aufgaben haben sie dort übernommen?
Ich hatte schon vorher in Braunschweig als Meisterschüler gearbeitet und übernahm in Berlin verschiedene Projekte im Porzellan-Bereich. Ein befreundeter Modelleur hat in der KPM dann mit den Studenten die Objekte umgesetzt. In den unteren Semestern waren die Aufgaben kleiner gehalten, etwa eine Trinkschale zu machen. Erst einmal mussten sie lernen, mit Gips umzugehen, dann die Form herzustellen. Damals gab es noch eine Abteilung in der Hochschule, wo man gießen konnte. Die Aufgaben für die höheren Semester rund ums Thema Essen und Trinken wurden dann komplexer.

besonderheiten der studenten-generation, mit der sie zu tun hatten?
Neugierig, interessiert, weit schauend. Ettore Sottsass haben wir zum Beispiel eingeladen, um uns anzuhören, was er zu sagen hat. Andere Entwerfer auch. Einige Studenten gingen nach Mailand, um dort weiterzustudieren oder absolvierten Praktika in italienischen Designbüros. In Italien herrschte auch Aufbruchstimmung. In Mailand entstanden ziemlich wilde Sachen. Das war eine lebendige Zeit.

übereinstimmungen / inspirationen / reibungen an nick roerichts positionen?
So eine Position wie Nick Roericht sie hatte, war für mich damals gar nicht denkbar. Sein methodisches Vorgehen fand ich toll, ich habe ihn irgendwo regelrecht verehrt. Die Schwächen lagen für mich in der formalen Gestaltung von Gebrauchsgütern. Das schien nicht ganz sein Ding zu sein, obwohl er für Rosenthal ein Geschirr gemacht hat, das heute noch produziert wird. Sein Konzept ist immer noch gut und war damals ein echter Schritt nach vorn. Aber es ist es auch etwas hölzern, und das Material gibt noch mehr her.

kontakt / zusammenarbeit mit damaligen mitmachern und ID4lern?
Andreas Hartmann, der bei Nick studiert hat. Wir machen sehr viel zusammen, schätzen und ergänzen uns.

was würden Sie im nachhinein, angenommen die zeitreise wäre bei gleicher ausgangslage möglich, anders machen?
Inhaltlich nichts. Ich würde nur stärker systematisieren. Darüber habe ich erst später mehr gelernt während meiner Zeit als Prof in Kassel und Krefeld.

haben sie etwas in ihren arbeitsbereich übernommen oder dort weiterentwickelt?
So gefragt nichts. Aber es ist ein Geben und Nehmen an der Hochschule. Inspiriert war ich auf jeden Fall. Auch von den Studenten. Ich finde es aber besser, in der Lehre eine gewisse Distanz zur eigenen Arbeit zu wahren, um Eigenes zu behalten. Ich habe parallel immer Aufträge angenommen, ob für Lufthansa, Hutschenreuther oder im Ausland. Bei dem Lufthansa-Projekt haben zwei Studenten sehr intensiv mitgearbeitet, auch Andreas Hartmann.

wie hat sich, seit sie lehren/arbeiten, das verhältnis des entwerfers zum handwerkzeug verändert?
Total verändert. An den Hochschule hat sich viel getan, weil die Studenten verstärkt mit dem Computer arbeiten und das Handwerk zurücktritt. Ich glaube, dass viele Dinge deswegen auch so miserabel gestaltet werden. Ein Besteck zum Beispiel ist wie ein Werkzeug. Das muss in der Hand liegen und die Waage halten, damit es trotz des Materialgewichts "leicht" bleibt. Dann erst folgt die künstlerische Gestaltung. Mit dem Computer erfolgt das heute alles in einem Schritt, aber dann nehmen Sie die Dinger hinterher mal in die Hand! Ich habe deswegen immer erst einmal das Handwerkliche mit meinen Studenten erarbeitet. Während des Entwurfs-Vorgang kann schon wieder etwas Neues entstehen. Am Computer wird meiner Ansicht nach vieles ausgeschaltet; man geht von den Dingen aus, die schon da sind und setzt am Bildschirm einer Grundform Hüllen auf. Die Handschrift und Eigenständigkeit des Entwerfers lässt sich nicht mehr erkennen. Jeder Entwerfer hat seine Eigenarten und Marotten, und die haben sich früher in den Produkten ausgedrückt und die Qualität ausgemacht, wie in der Malerei und Bildhauerei und Kunst überhaupt.

sehen sie die disziplin design mittlerweile übergehen, mutieren, sich entwickeln in andere formen und ausrichtungen?
Da passiert ja nicht viel. Zumindest nicht viel Interessantes. Ich war neulich in Mailand. Soviel miserable Gestaltung habe ich noch nie gesehen. Beliebig wie irgendwas. Vielleicht bin ich besonders empfindlich, aber gerade in unserem Bereich ist die Funktion die Grundvoraussetzung und danach beginnt der Gestaltung. Im Moment scheint es nur Spass zu geben.

welche hoffnungen oder befürchtungen knüpfen sie daran?
Hoffnungen, natürlich. Die Qualität kann nur besser werden.

worauf könnten sie leicht verzichten?
Dass man Grenzen setzt. Ich will die Breite und die Unterschiedlichkeit: